Ein frohes neues Jahr 2011 wuensche ich all meinen treuen Mitlesern;)
Ich sitze im Moment in einem Internet-Cafe in Tan-Tan, einer der wenigen Stadte mitten im Nichts zwischen Agadir und der mauretanischen Grenze. Nachdem die letzten Berichte in ziemlich grossen Abstaenden folgten und daher etwas ueberblicksartig ausfallen mussten, habe ich mir gedacht, diesen etwas frueher zu bringen und dafuer mehr auf die einzelnen Tage einzugehen- ein bisschen Abwechslung kann ja nicht schaden…anfangen werde ich dort, wo ich beim letzten Mal aufgehoert habe, in Marrakesch.
Die rote Stadt
Meine Tage in Marrakesch waren insgesamt sehr nett; dies vor allem wegen der tollen Familie von Boujeema, an die ich gewissermassen vermittelt worden bin. Dem Ruf als „magische Stadt“ ist Marrakesch meiner Meinung aber nicht gerecht geworden. Der sagenumwobene Platz Djem el Fna ist zwar wirklich einzigartig, letztendlich geht es aber mal wieder nur darum, den Touris auf kreative Art und Weise das Geld aus der Tasche zu locken. Man kann kein Foto machen von irgendetwas, ohne dass nicht gleich jemand angelaufen kommt und dafuer die Hand aufhaelt-schrecklich! Offenbar haben auch die Marokkaner erkannt, dass ein Fotoapparat ein vermeintliches Zeichen fuer Wohlstand ist (nur nicht bei mir;) ). Leider tappe ich trotzdem in die Falle: Als die marrokanische Bauchtaenzerin aber 5 mal mehr als meinen Alibi-Dirham haben will, den ich zoegernd gebe, will ich mein Geld zurueck und das Foto loeschen; man kann darauf eh kaum etwas erkennen. Doch das gefaellt der Guten ueberhaupt nicht- „Degage!“ (Hau ab!) ist alles, was sie mir mitzuteilen hat- Das Foto loesche ich am Ende doch.
Schlangenbeschwoerer auf dem Djem el Fna; gut, dass die Kamera einen guten Zoom hat...
In der Wohnung geht es da schon sehr viel freundlicher zu. Der Umgang ist wie gewohnt herzlich und unkompliziert- bereits am 2. Tag werde ich von den Eltern „mein Sohn“ genannt, nicht zum ersten Mal als Gast bei einer Familie: Hier in Marokko ist man in vielerlei Hisicht sehr viel direkter als bei uns. Jeden Abend erzaehlt mir der Vater Geschichten aus dem Koran; er ist ueberzeugt davon, dass ich eines Tages dem Islam beitreten werde. Wie fast jede Familie, die ich hier kennengelernt habe, ist auch diese sehr glaeubig. Wenn ich in einer seiner wenigen Sprechpausen vom Christentum erzaehle, schuettelt er nur den Kopf: – „Wie soll denn ein Kind ohne Mann geboren werden? Das kann doch schon gar nicht stimmen.“ -“ Durch Gott“, versuche ich zu erklaeren, „Gerade das nennen die Christen ja das Wunder in der Bibel.“ – „Ach Was! Es gibt nur einen Gott und der braucht keine Frau und keinen Sohn. Da gibt es kein Wunder!“… Nur gut, dass ich kein Missionar bin- schnell schalte ich wieder auf Zuhoeren um.
Langsam verstehe ich, warum hier keine Weihnachtsstimmung aufkommen will. Doch zumindest in DER Touristenhochburg schlechthin haette ich an Heiligabend etwas mehr als ein paar Lichterketten vor manchen Restaurants erwartet, aber selbst auf dem Djem el Fna ist nichts zu sehen. Mein erstes Weihnachten weit weg von zu Hause- schnell merke ich, wie wenig vom Weihnachtszauber uebrig bleibt ohne Winter, Schnee, festlicher Dekoration und vor allem: ohne Heimat, Freunde und Familie. Gut, dass ich hier wenigstens die Moeglichkeit habe mit der family zu Hause zu skypen, so koennen sie beruhigt im fernen Stahlhofen feiern.
Die hohen Berge
Wegen drohender Zeitnot und meiner allgemeinen Abneigung gegen Berge, hatte ich eigentlich vor, den Hohen Atlas so weit wie moeglich zu umfahren. Inspiriert durch die Berichte anderer Radreisender dort, entschied ich mich spontan aber dann doch fuer den direkten Weg- ueber den Tizi ’n‘ Test, einen Pass auf ca. 2100 m. Laut besagter Berichte soll der im Winter zeitweilig eingeschneit sein (daher entsprechende Ankuendigung im letzten Artikel). Tatsaechlich finde ich zwar gefrorene Strassen (gluecklicherweise) aber keinen Schnee vor- ein Erlebnis war es trotzdem!
Bereits von Marrakesch aus kann man die eingeschneiten Gipfel der Berge erkennen, die sich majaestetisch am Horizont auftuermen. 30 Km hinter der Stadt beginnt schliesslich der Aufstieg ins Gebirge.
viel deutlicher kann eine Warnung nicht ausfallen: ab jetzt gehts bergauf!
Am 1. Tag fahre ich gleich auf ca. 1100 m rauf- ueberraschend schmerzlos, wie ich finde. Waehrend der Nacht im Zelt abseits der Strasse spuere ich aber den Unterschied: es ist deutlich kaelter als am Vortag und vor allem- wunderbar still; ich geniesse die voellige Ruhe, die nur ab und zu von einem Auto unterbrochen wird. Die 62 Km am 2. Tag sind sogar noch schlerzfreier als die am 1; es geht leicht auf und ab, aber ich habe Schlimmeres erwartet- die Aussichten, die sich mir immer wieder bieten sind hingegen wie erhofft.
Am Abend in einem Dorf angekommen laedt mich der Direktor der dortigen Schule zum Uebernachten ein. Ich zelte in einem Unterstand neben dem Schulhof; gegessen wird auf ausrangierten Schulbaenken, die mir natuerlich viel zu klein sind.
Am 3. Tag folgt schliesslich der eigentliche Aufstieg zum Pass. Bei einem kurzenTee vorm Aufbruch werden mir 24 Km bergauf angekuendigt. Der Hoehenunterschied ist dabei gar nicht so gross- die Strasse schlaengelt sich wie eine Murmelbahn bei maessiger Steigung den Berg hinauf und gibt immer wieder einzigartige Panoramas preis. Ein Glueck, dass ich bestes Wetter erwischt habe, so habe ich eine klare Sicht- ebenso klar, dass sich meine Fahrt deutlich verlaengert durch die vielen Foto-Stops, die ich einlege.
Unterwegs treffe ich ein hollaendisches Radler-Paar mit einem GPS: noch 12 Km und 300 Hoehenmeter- das Ende naht! Kurz vor dem Pass wird die Luft richtig frostig, eine Pfuetze auf der Strasse ist gefroren; bei Sonne und ansteigender Strasse gerate ich aber selbst in Trikot und kurzer Hose noch ins Schwitzen. Als der Pass fast erreicht ist, habe ich einen tolllen Blick auf den hoechsten Berg im Gebirge (und gleichzeitig in ganz Nordafrika), den Djiebel Toubkal mit 4167 m. Schnell noch ein Beweis-Foto, dann geht es ueber den Pass auf die andere Seite.
Foto mit dem hoechsten Berg Nordafrikas- so muss sich Reinhold Messner einst gefuehlt haben;)
Hier erwartet mich ein 40 Km langer Abstieg auf einer tollen Panorama-Strasse. Also lange Hose, Muetze, Fleece und Jacke an & ab geht’s. 3 Tage Aufstieg, 1 Stunde Abfahrt (wiederum mit zahlreichen Foto-Pausen;) ) – so schnell ist mein Berg-Abenteuer vorbei…
Die lange Strasse
Unten angekommen scheint die Sonne so heiss zu brennen wie noch nie; vielleicht hatte ich mich schon an die frische Bergluft gewoehnt?! Im 1. groesseren Ort seit 3 Tagen will ich endlichwieder richtig einkaufen- wie praktisch, dass ich genau am Wochenmarkt komme, denn guenstiger und frischer kann man in Marokko nichts bekommen. Ich decke mich ein mit 3 Broten, je einem halben Kilo Bananen und Orangen, ausserdem Zwiebel, Kuerbis & Kartoffel fuer’s Abendessen- alles zusammen fuer umgerechnet 1,50 Euro!
Am Abend zelte ich -wie schon haeufiger- neben einer Tankstelle. Den Tip hierzu habe ich von einem marokkanischen Radler bekommen. Tatsaechlich brauche ich mein Anliegen nie lange erklaeren, um einen Zeltplatz in oder neben der Station zu bekommen, die die ganze Nacht von einem Waerter bewacht wird, natuerlich gratis- aeusserst praktisch!
Gestaerkt von einem grossen Gemuesetopf am Vorabend und fit nach meinem Hoehentraining geht es am naechsten Tag mit Rueckenwind auf in Richtung Kueste. Aufgrund der optimalen Bedingungen, stelle ich meinen bisherigen Marokko-Rekord auf: 105 Km, das gab es sonst nur in Frankreich und Spanien; scheint so, als ob die alte Form langsam zurueckkehrt.
Sind das etwa schon die Tropen???
An diesem Tag schlafe ich ich in einem riesigen Bananen-Gewaechshaus- durch Zufall habe ich ausgerechnet den Besitzer der Plantage nach einem geeignetem Zeltplatz gefragt. Die Atmosphaere ist in der Tat wie im Dschungel: die Luft ist heiss, feucht und erfuellt von den Lauten der Grillen, die diese die ganze Nacht von sich geben. Endlich kann ich mich auch mal wieder waschen- mit einem Eimer kaltem Wasser; Gott sei Dank steht hier die Luft! Zum Abschied bekomme ich noch Orangen und -natuerlich-eine riesige Staude Bananen geschenkt.
Die ersten Kilometer des naechsten Morgens geniesse ich noch den angenehmen Rueckenwind, dann biege ich ab auf eine Strasse, die mich die komplette Kueste entlang durch die Sahara und schliesslich nach Mauretanien fuehren wird: Die Nationalstrasse 1.
Die Nationalstrasse 1- eine sehr, sehr lange Strasse
Angeblich ist das Atlas-Gebirge eine natuerliche Grenze innerhalb Marokkos, die Norden und Sueden voneinander trennt. Zumindest klimatisch koennte das durchaus stimmen, denn zum 1. Mal waehrend meiner Tour setzt mir die Sonne richtig zu; ich fuehle mich matt und kraftlos. Immerwieder muss ich anhalten und mich im Schatten ausruhen und versuche gegen die Hitze anzutrinken, mehr als 4 Liter an diesem Tag; die Lippen bleiben trotzdem sproede. Auch landschaftlich kuendigt sich eindeutig ein Wechsel an: Die Vegetation ist im Gegensatz zum Norden stark zurueckgegangen; Kakteen und Steine bestimmen das Bild, nur vereinzelt ist noch eine einsame Palme zu entdecken.
Nicht mehr zu uebersehen: Die Wueste rueckt naeher
Auch die Ortschaften werden weniger, zwischen 2 Siedlungen liegen gerne schon mal 40 Km- gut, dass ich dank zusaetzlichem Getraenkehalter nun bis zu 5,5 Liter mitnehmen kann. Dem Marokkaner, der mit Turban am Strassenrand sitzt und mich um einen Schluck bittet, gebe ich daher natuerlich gerne etwas ab. Am Ende dieses Tages frage ich in einem Dorf nach einem sicheren Zeltplatz. Zunaechst bekomme ich einen Vorraum der Moschee angeboten, doch dieser ist offen und zu klein, um das Zelt aufzustellen. Zumindest den Kindern des Ortes gefaellt es, das der Fremde genau in der Dorfmitte schlafen soll, denn hier kann man ihn und seine Ausruestung in aller Ruhe inspizieren. Ich habe nichts dagegen, denn im Gegensatz zu vielen anderen Kindern Marokkos, sind diese allesamt zurueckhaltend-freundlich.
So eine Brille und ein Helm sind schon was Tolles...
...und auch eine Kamera kann begeistern
Als ich mich schon mit vielen Decken auf eine kalte Nacht eingestellt habe, kommen ploetzlich 2 junge Marokkaner vorbei und laden mich zu sich nach Hause ein; sie hatten von dem Radler gehoert, der neben der Moschee schlafen soll- zumindest, dass Neuigkeiten nicht lange geheim bleiben, scheint auch hier nicht anders zu sein. Im Haus esse ich mit noch 3 anderen Freunden eine leckere Tajine; zum Nachtisch lege ich die grosse Bananenstaude auf den Tisch.
Mit Tiznit erreiche ich am 3. Tag „im Sueden“ die 1. groessere Stadt an der langen Strasse. Ich kaufe mir erst einmal Sonnencreme und Lippenbalsam, wobei mich ein freundmicher Marokkaner anspricht; Ich schaetze ihn auf Anfang 30. Er erzaehlt, er repariere Wohnmobile, die durch die Stadt kommen- wenn ich will, kann ich in seinem Atelier uebernachten. Ich hatte zwar eigentlich vor noch ein Stueck weiterzufahren, aber warum eigentlich nicht!? In der Werkstatt angekommen diskutieren wir ueber die Lebensumstaende hier und in Europa. Wie so viele junge Maenner, will auch Adil so bald wie moeglich dorthin auswandern. Was die Arbei angeht hat er ueberzeugende Gruende: Versicherung, Rente und Sozialleistungen sind fuer ihn ausschlaggebend. Mit seinen 100 € Monats(!)gehalt lebe er naemlich gewissermassen von der Hand in den Mund- das verstehe ich gut. Zumindest aber was die Menschen, ihre Mentalitaet, sowie das Land selbst angeht, sind wir uns einig, dass Marokko Europa eindeutig vorzuziehen ist…und was seinen Gehalt angeht, rate ich ihm bei seinem franzoesischen Chef eine Gehaltserhoehung zu fordern- das hatte er sowieso vor, sagt er.
Adil, der Mechaniker aus Tiznit
An Sylvester verlasse ich die „grosse Strasse“, um eine kleine Abwechslung auf einer kleineren Route an der Kueste entlang zu nehmen. Auf die Art kann ich die letzte Sonne des Jahres ueber dem Atlantik untergehen sehen und am Strand zelten. Gluecklicherweise finde ich dort eine kleine Huette. Sie gehoert einem Fischer, der sich ueber ein wenig Gesellschaft freut; ueberrascht nimmt er zur Kenntnis, dass heute Sylvester sein soll. Bei dem ersten Bad im Meer hier werden Erinnerungen an die Zeit in Spanien wach, nur dass das Mittelmeer im Oktober waermer war als der Atlantik im Dezember. Am Neujahrsmorgen stehe ich extra frueh auf, um mit dem Fischer zu fruehstuecken und die ersten Sonnenstrahlen festzuhalten, die auf meinen Premium-Zeltplatz fallen. Hoffentlich sind die Aussichten fuer 2011 ebenso gut wie von dort oben…
Mein erstes Neujahr am Strand
Die grosse Wueste
Fast schon zu spaet komme ich an diesem Tag voller Kurven, Berge und Schweiss in meinem Etappenziel Guelmim an. Die Zeit reicht gerade noch, um meine Einkaeufe auf dem Markt zu machen und mir eine Tankstelle zum Zelten zu suchen. Der freundliche Tankwart laedt mich am naechsten Morgen zu sich nach Hause ein, doch ich lehne dankend ab, denn heute erwartet mich nichts als Einoede; die naechste Stadt Tan-Tan ist 140 Km entfernt und bis dahin soll es auf halber Strecke genau eine kleine Ortschaft mit 2 Cafés geben, also breche ich lieber gleich auf.
Unterwegs kommt bald richtiges Wuestenfeeling auf- kein Wunder, denn ich befinde mich inzwischen mitten in der Hammada, einem Vorboten der grossen Sahara-Wueste. Waehrend der vergangenen Tage sind dann auch die letzten einsamen Palmen verschwunden und es herrscht absolutes Nichts- so weit das Auge reicht. Daher habe ich so meine Schwierigkeiten einen geeigneten Platz zum Pausieren zu finden: es gibt einfach nirgendwo Schatten! Da muss schon mal ein Strassenschild als Schutz vor der extremen Sonne herhalten. Die Einsamkeit wird lediglich von ein paar Ziegen- und der ersten riesigen Kamelherde unterbrochen, die ich bisher zu Gesicht bekommen habe- aber keine Sorge, ich wurde gewarnt;)
Bei der besagten Siedlung angekommen, die tatsaechlich im Grunde aus 2 Cafés besteht, werde ich prompt vom Koch des einen zum Uebernachten eingeladen- das trifft sich gut, denn in der verbleibenden Stunde Tageslicht kann ich meine Sachen waschen und auf der Terasse aufhaengen. Bei einem Omlett und einer Tasse Tee fuehre ich ein langes Gespraech mit eben diesem Koch, der in seinen jungen Jahren als Student viel herumgekommen ist: England, Frankreich, Spanien und natuerlich Afrika- entsprechend interessant sind seine Ansichten zu der Politik seines Landes und der Europas.
Die zweite Haelfte der Strecke nach Tan-Tan ist, wie nicht anders zu erwarten, ganz aehnlich wie die erste. Eine Polizeikontrolle unterwegs, ansonsten bekomme ich kein Gesicht ausser durch eine Autoscheibe zu sehen. Es ruecken bereits die ersten Sandduehnen ins Blickfeld- wenigstens eine kleine Veraenderung erwartet mich in den naechsten Tagen also noch, von Geroell zu Sand…
Die gestrige Nacht habe ich hier in Tan-Tan bei einem Marokkaner verbracht, den ich gestern in dem einsamen Ort im Café kennengelernt habe. Leider ist er aber heute wieder nach Guelmim gefahren, sodass ich mir gleich mein Rad nehmen und die letzte Tankstelle des Ortes aufsuchen werde, schliesslich ist es schon dunkel geworden beim Schreiben dieses Artikels.
Morgen frueh geht es dann wieder auf die Strecke, naechste Station ist Laayoune, die „Hauptstadt der Wueste“, wie man sie hier nennt, ich bin gespannt.
So, ich darf jeden, der bis zum Ende durchgehalten hat, herzlich zu dieser Leistung beglueckwuenschen und verspreche, mich beim naechsten Mal kuerzer zu fassen;)
Alles Gute,
euer Sascha