Die Entdeckung der Langsamkeit

24 12 2010

Froehliche Weihnachten aus Marrakesch!

So langsam scheine ich auch mental in Afrika angekommen zu sein: Wie waehrend der gesamten Zeit seit meiner Ankunft in Marokko, habe ich auch in den vergangenen Wochen viel gesehen, tolle Begegnungen gehabt- und bin eher wenig Fahrrad gefahren. Daran aenderte auch nichts, dass sich Raphael und Sandra, das franzoesische Paar mit dem ich seit Tanger zusammen gefahren bin, nur wenige Tage nach meinem letzten Blogeintrag dazu entschlossen haben ihren Aufenthalt in Marokko um 3 weitere Monate zu verlaengern; da mir das dann doch etwas zu viel Zeit war, habe ich beschlossen, meine Reise wieder alleine fortzusetzen. Seitdem wir uns in Meknes getrennt haben, war ich in Rabat, Casablanca, zu Gast bei einer marokkanischen Familie, bei der ich fast eine ganze Woche verbracht habe, und bin nun seit 2 Tagen in Marrakesch- puenktlich zum Weihnachtsfest (auch wenn das nicht meine Absicht war…).

Obwohl ich vor einigen Tagen die 5000-Km-Marke ueberschritten habe, bleibt mir fuer mehr als die Haelfte der Strecke bis zur Grenze nach Mauretanien nur noch weniger als die Haelfte der Zeit, da dann mein 3-monatiges Visum fuer Marokko auslaeuft. Wie es aussieht, muss ich wohl langsam wieder etwas Gas geben- ob ich will oder nicht.

Fes, Meknes und Rabat

Bevor ich meinen Reisebericht fortsetze, folgt noch ein Nachtrag zum letzten Bericht in Form eines Bildes, das ich das letzte Mal noch nicht von meiner Kamera (die ich immernoch habe-intakt;) ) kopiert hatte. Es handelt sich um die traditionellen marokkanischen Ledergerber und -faerber, die wir bei mitten im Gassenlabyrinth der Medina von Fes entdeckt haben.

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Dieses Handwerk ist zwar schoen anzusehen, aber keineswegs ein Genuss fuer alle Sinne- der Gestank rund um den Platz war selbst vom Dach des benachbarten Hauses noch extrem.

Am Tag nach meinem Bericht aus Fes hatte sich das Wetter tatsaechlich etwas gebessert- die Meinungen, ob das zum Fahrradfahren ausreichen wuerde, gingen aber auseinander, sodass Raphael und Sandra das Taxi bevorzugten, waehrend ich mich entschied die 70 Km nach Meknes zusammen mit meiner Regenjacke aus eigener Kraft zurueckzulegen. Dort angekommen ging es mit dem Regen zwar weiter; ein Teil des Marktes ist aber ueberdacht und daher vorm Regen geschuetzt. Gut so, denn an den Staenden hier wurden die Waren so kunstvoll praesentiert, wie ich es bisher noch in keiner anderen Stadt gesehen habe.

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Nach einem letzten gemeinsamen Tee mit Raphael und Sandra ging es fuer mich dann alleine weiter Richtung Rabat. Auf dem Weg dorthin wurde ich von einer ausgesprochen sympathischen Familie zum Uebernachten eingeladen. Als -wie immer- bald meine Karte ausgepackt und meine bisherige und weitere Route besprochen wurde, erzaehlte die Mutter von ihrer Schwester, die mit Mann und Kindern in Marrakesch wohnt „Wenn du am Bahnhof bist, ruf uns einfach an- sie holen dich dann ab“ Na gut- wenn ihr das sagt… Am Abend liess es sich die Mutter dann nicht nehmen, einen Riesen Couscous fuer die ganze Familie zuzubereiten; den groessten, den ich je gesehen habe. Aber da in Marokko immer alle  von einem Teller essen, sind die Dimensionen etwas andere als die in Europa; uebrigens ist der Couscous das einzige Gericht, das mit Loeffel und nicht mit den Haenden gegessen wird.

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Nach der Staedtetour, die ich zusammen mit Raphael und Sandra in den Wochen zuvor hinter mich gebracht habe, beschloss ich in Rabat nur das Noetige zu erledigen und erst in Casablanca wieder zu uebernachten. Also fuhr ich mich auf direktem Weg zur mauretanischen Botschaft, wo bereits eine lange Schlange von Afrikanern und anderen Reisenden darauf warteten, das 4-seitige Antragsformular abgeben zu koennen. In diesem wurde u.a. nach einer Auflistung aller Laender gefragt, die man in den letzten 10 Jahren besucht habe sowie eine Anschrift, unter der man in Mauretanien erreichbar waere. Am Ende nahmen es die Beamten mit den Angaben aber doch nicht so genau, sodass bei den Laendern Frankreich und Spanien ausgreicht haben und mir der Mauretanier vor mir kurzerhand seine Adresse „ausgeliehen“ hat; groessere Probleme bereitete da schon das Einreisedatum und die Dauer des Aufenthaltes, die ich vor Ort voraussagen musste- Fahrradreise hin oder her. Zur Auswahl standen 3 Tage, 6 Tage, 1 oder 3 Monate- jeweils mit aufsteigenden Gebuehren. Ich entschied mich fuer einen Monat fuer 35 Euro ab dem 1. Februar; so habe ich in Marokko fast die gesamten 3 Monate meines Visulms hier genutzt und immerhin 4 Wochen fuer das deutlich kleinere Mauretanien. Zunaechst stellte mir der Beamte allerdings ein Visum aus, das sofort beginnen sollte; gut dass ich den Fehler bemerkt haben, denn sonst waere mein Visum abgelaufen noch bevor ich die Grenze erreicht haette. Nachem ich ihn au den Fehler aufmerksam gemacht hatte, fand ich nach kurzem Warten den richtigen Aufkleber in meinem Pass wieder- Vetrauen ist gut, Kontrolle eben besser…

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Casablanca

Auf der 2-taegigen Fahrt nach Casablanca, der groessten und „westlichsten“ Stadt Marokkos, wurde ich von einem jungen Marokkaner zu einem Tee bei ihm zu Hause eingeladen; er reif mir einfach nach, als ich auf der Strasse an ihm vorbeifuhr. Auch wenn er immer wieder betonte, dass ich als Reisender bei ihm und seiner Familie stets willkommen bin und mich wie zu Hause fuehlen solle, zog es mich nach dem Tee wieder auf die Strasse- erst einige Tage spater sollte ich erfahren, dass diee Worte keineswegs leere Floskeln, sondern durchaus ernst gemeint waren.

In Casablanca suchte ich mir wie immer das guenstigste Hotel, das ich finden konnte -im Uebrigen guenstiger als die ebenfalls vorhandene Jugendherberge- und besichtigte als erstes die riesige Mosche Hassan II (benannt nach dem letzten Koenig, der sie in Auftrag gegeben hat) mit dem hoechsten Minarett der Welt.

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Leider darf man als Nicht-Muslime die Moschee nur im Rahmen einer kostenpflichtigen Fuehrung, die ausserhalb der Gebetszeiten stattfindet Da diese Moschee zusammen mit einer weiteren aber die einzige in ganz Marokko ist, die ueberhaupt von andersglaeubigen betreten werden darf, habe ich die 6 Euro bezahlt und bin zusammen mit den anderen deutschsprachigen Touris und meinem Fotoapparat um den Hals unserem „Guide“ durch die Innenraeume der Moschee gefolgt.

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Tatsaechlich hielt das Innere, was das Aeussere versprach; allerdings steht der zur Schau gestellte Reichtum dieses Prunk-Baus, dessen Kosten in die Milliarden gingen, im krassen Kontrast zu den Lebensverhaeltnissen der Einwohner in der Medina. Offenbar war man auf der Suche nach einem Wahrzeichen fuer die Stadt (und der Koenig fuer sich), denn ansonsten gibt es im Wirtschaftszentrum Marokkos nicht viel zu sehen. Am Abend bin ich noch gemuetlich ueber den Souk geschlendert, der zwar der groesste, nicht aber unbedingt der schoenste des Landes ist, und machte mich schliesslich auf den Weg nach Marrakesch.

Ich war schon einen Tag unterwegs, als mir ploetzlich ein Gedanke kam: Nachdem ich Marrakesch verlassen haben wuerde, kaemen die Berge und danach die Wueste- mit dem gruenen Marokko, wie ich es bisher kennengelernt habe waere es auf jeden Fall vorbei; und damit auch mit den vielen kleinen Hoefen, wo die Familien fast alles, was sie zum Leben brauchen selbst herstellen und sich mehr oder weniger selbst versorgen. Zwar hatte ich so ziemlich jede groessere Stadt in Nordmarokko ausgiebig besichtigt, nie aber das wirkliche Leben einer Familie auf dem Land kennengelernt- und das wollte ich jetzt nachholen, bevor es zu spaet war. Als ich nachdachte, wie ich so etwas am besten machen koennte, musste ich nicht lange nachdenken, um auf Said und seine Familie zu kommen, den jungen Marokkaner, der mich einige Tage zuvor zum Tee eingeladen hatta.

The simple life

Das erste, was Said am Telefon fragte war, „quand tu vas nous visiter, Sascha? ; wann kommst du uns besuchen, Sascha?“ „Ich bin heute Abend bei euch“ antwortete ich, wohl wissend, dass ich schon 2 Tagesetappen von dem Haus entfernt war. Da ich  den Hinweg aber schon hinter mich gebracht hatte, fand ich es nicht ehrruehrig fuer den Rueckweg das Taxi zu nehmen. Das ist hier kein Problem, da man in Marokko fuer ein Fahrrad und 30 Kg Gepaeck keinen Bus oder auch nur einen Pick-braeuchte; in das Auto gehen schliesslich noch 6 Personen- plus Fahrer: Die Standardbeseztung fuer marokkanische Ueberlandtaxis. Allerdings zahlt man mit Rad fuer diese abenteuerliche Fahrt den doppelten Preis, was bei 1,50 Euro fuer 40 Km aber noch zu verkraften ist.DSCF0689

Die Tage bei Said und seiner Familie waren fuer mich ein ganz eigener Abschnitt meiner Reise. Nicht nur die Art zu leben und der Tagesablauf unterschieden sich vollkommen von dem einer deutschen Familie, sondern auch die Umgangsformen; die Herzlichkeit und Selbstverstaendlichkeit mit der ich von der ganzen Familie aufgenommen wurde, kann ich mir in Deutschland kaum vorstellen. Alles war viel einfacher und natuerlicher und ich habe mich von der ersten Minute an wohl gefuehlt. Als ich am Abend zum Beispiel nach einer Dusche gefragt habe, da ich die letzte in Casablanca hatte, wurde schnell ein Feuer vor dem Haus gemacht und ein Wasserkessel darueber gehaengt; das warme Wasser wurde dann in eine grosse Schuessel geschuettet. Gewaschen habe ich mich dann im Stall bei den Kuehen- weil es dort schoen warm ist; ein Badezimmer gab es naemlich nicht. Viele wuerden diesen Lebensstil als arm bezeichnen; tatsaechlich hat die Familie nicht viel Geld- aber das braucht sie auch nicht fuer das Leben, das sie fuehrt. Wasser kommt eben nicht aus dem Hahn, sondern aus dem Brunnen vor dem Haus, Lebensmittel nicht aus dem Supermarkt, sondern vom eigenen Hof: Eier von den 30 Huehnern, Getreide und Mehl von den eigenen Feldern, mit dem die Mutter selbst das Brot backt und Milch von der Kuh, die jeden Abend nach dem Weiden gemolken wird (auch ich durfte mich mal versuchen -mit Erfolg- vom Euter direkt ins Glas; und die Milch schmeckt deutlich anders als „die Gute von Schwaelbchen“).

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Dementsprechend ist der Vater auch nirgendwo angestellt, geht keinem Beruf nach- seine Arbeit ist der Hof und das Haus. Und hier gibt es gerade besonders viel zu tun, da das gesamte Haus renoviert wird und ein kleiner Anbau dazu kommt. Die Arbeit macht Mohammed, der Vater, natuerlich selbst mit Hilfe von Freunden und Verwandten. Dadurch konnte auch ich mich ein wenig nuztlich machen, sei es Betoneimer hin- und her tragen, Stall ausmisten, Huehner, Gaense, Hunde, Stiere oder die Ziege fuetteren oder die 3 Kuehe und 4 Schafe auf oder von der Weide fuehren oder mit dem Rad in den 3 Km entfernten Ort zum Einkaufen zu fahren. Fuer diese kleinen Taetigkeiten war ich sehr dankbar, gab es mir doch das Gefuehl nicht nur Urlaub auf dem Bauernhof zu machen (diesmal tatsaechlich…), sondern auch ein bisschen behilflich sein  zu koennen. Normalerweise macht das Mohammed naemlich alles alleine, denn die Kinder sind tagsueber in der Schule; Said selbst geht in einer Fabrik in der Naehe arbeiten- Den Lohn teilt er mit seinem Vater.

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Immer wieder haben die Eltern gesagt, dass ich doch noch etwas bleiben solle und wahrscheinlich haette ich gleich bei Said und seiner Familie als neues Familienmitglied einziehen koennen, wenn ich nicht haette weiter fahren muessen.  So hiess es nach 6 Tagen schliesslich schweren Herzens Abschied nehmen; die Traenen, die dabei bei den Eltern geflossen sind, zeigten mir, dass mein Besuch auch fuer sie etwas ganz Besonderes war. Und wer weiss, vielleicht bietet sich eines Tages eine Gelegnheit fuer ein Wiedersehen- inschalah.

Marrakesch

Abgesehen von dem stuermischsten Wetter, dass ich auf der gesamten Tour erlebt habe und das meinen 2 Zeltstangenbruechen einen dritten hinzufuegte, war die Fahrt nach Marrakesch gepraegt von eintoenigen Landschaften mit endlosen Feldern und Olivenplantagen. Als ich schliesslich in der Stadt angekommen war, die sich als die schoenste des ganzen Landes ruehmt, wollte ich die Spontanitaet der Marrokaner ein wenig auf die Probe stellen. Ich fuhr zum Bahnhof und waehlte die Nummer der Familie, die ich auf dem Weg nach Casablanca kennen gelernt hatte. Und tatsaechlich- einen Anruf und 30 Minuten spaeter holten mich Boujemaa, der Mann der besagten Schwester, mit 2 seiner Soehne ab!

So kommt es, dass ich seit vorgestern wieder zu Gast bei einer sehr netten Familie und an Weihnachten nicht alleine bin. Dadurch kann ich den Weihnachtsabend auf dem beruehmten place jamea el fana verbingen, auf dem noch am ehesten besinnliche Stimmung aufkommt, die man ansonsten im warmen, muslimischen Marokko  naemlich vergeblich sucht.

Morgen frueh geht es dann weiter Richtung Sueden- oder besser gesagt Richtung Himmel, denn gleich hinter der Stadt warten die Berge des Hohen und des Anti Atlas auf mich. Diese werde ich auf einer kleinen Strasse mit einem Pass von 2092 Hoehenmetern ueberwinden- bleibt nur zu hoffen, dass mein Fahrrad auch im Schnee eine gute Figur macht.

Von einem Extrem geht es direkt ins naechste, denn nach dem Schnee des Hohen Atlas folgt unmittelbar der Sand und das Geroell der beginnenden Sahara. Hier werde ich mich wieder an der Kueste halten, wie im Oktober in Spanien. Und auch der Fahrstil wird an meine Zeit in Europa erinnern muessen, um nicht wegen meines Visums in Zeitnot zu geraten, was mir angesichts der kargen Landschaft und wenigen sehenswerten Orten wohl nicht allzu schwer fallen duerfte.

Zwar kommen die Gruesse fuer den Heiligabend etwas spaet, aber die Feiertage kommen ja erst – von daher wuensche ich allen, die dies noch rechtzeitig lesen, besinnliche und ruhige Weihnachtstage.

In diesem Sinne,

euer Sascha



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